Die Belletristen

Erzählkunst in allen Formen und Farben

Rezension: MOLE


Ein Weltuntergangshörspiel mit Maulwürfen als Invasoren! Was für eine Idee! Schon jetzt können wir von einem Kult-Hörspiel sprechen. Aber was ist eine gute Idee ohne gute Umsetzung? Richtig! Enttäuschend. Ob das bei MOLE der Fall ist, wird in den nächsten Zeilen zu erörtern sein.

Skript:
Im Jahre 1899 verliert das 15-jährige Mädchen Abby Bowland ihre Familie durch maulwurfsähnliche Humanoide: die Moles. Diese greifen durch unterirdisch gegrabene Tunnel Südengland an. Auf solche Weise entwurzelt begibt sich Abby auf die lange Flucht durch Südengland, wodurch sie neue Freunde gewinnt, neuen Gefahren entgehen und nicht zuletzt die Moles überleben muss.

Was ist Mole? Ein Katastrophenfilm? Ein Road-Movie? Abenteuerliteratur? Fantasy? Horror? Entwicklungsroman? Mole ist von allem ein bisschen. Eine Warnung vorab: eine Trash-Parodie ist es nicht. Wer also eine Geschichte im Stile von „Killertomaten“ erwartet, wird enttäuscht. Wer aber ein erwachsenes Invasions-Drama im Stile von „Krieg der Welten“ (im Original) erwartet, wird Mole lieben. Die Geschichte ist detailreich und glaubhaft umgesetzt. Die Protagonisten sind in Charakter und Sprache deutlich voneinander abgegrenzt und wuchsen mir recht schnell ans Herz. Die leicht melancholische, schüchterne Abby, die alles verloren hat und die patente, tatkräftige Lizzy, die noch aus jeder Situation einen Ausweg findet. Lediglich Finn bleibt in der Charakterisierung etwas blass – vielleicht kommt dieser Part noch im zweiten Teil. In jedem Fall kann nicht oft genug gelobt werden, zwei Mädchen als Protagonisten einzusetzen. In solchen actionreichen Hörspielen neigen Autoren gerne dazu, den Plot zu vermännlichen. Dann sind Helden und Schurken gleichermaßen männlich und allenfalls die Geliebte weiblich. Darüber hinaus ist ein weiteres Mal Alleinstellungsmerkmal, dass die Invasion nicht aus einer Sicht der oberen 10.000 erzählt wird, also wie üblich dem Präsident, dem König, superschlaue Wissenschaftler etc., sondern aus der Perspektive der einfachen Menschen, die nichts weiter wollen als zu entkommen. So sympathisch diese Herangehensweise auch ist, leider bleiben dadurch interessante Aspekte verborgen: was wird gegen die Moles unternommen? Wo wird gekämpft? Wie sieht London aus? Der Buckingham Palace? Was macht die Weltgemeinschaft? Denn besonders vor dem historischen Hintergrund von 1899 ist eine derartige Krise Englands sicherlich attraktiv für die anderen Weltreiche. Nun gut, der zweite Teil bietet ja die Möglichkeit diese Informationen nachzuliefern. Dennoch funktioniert der Plot und zaubert eine eigentümliche Atmosphäre. Ohne Frage, dieses Skript hat mir sehr gefallen.

Sprecher:
Davon gibt es eine ganze Menge. Ich gehe aus diesem Grund nur auf einige ein und spare meine eigene Rolle (Owen) aus. Jamie Leaves spricht eine zauberhaft melancholische Abby Bowland. Ihre niedergeschlagene Grundstimmung funktioniert auch als Erzählerin sehr gut – schließlich hat die Gute einiges verloren. Der Kontrast zu Lizzy, gesprochen von Christiane Marx, ist deutlich hörbar. Da sich die beiden Charaktere charakterlich stark unterscheiden, hatte ich auch nie ein Problem diese jungen Frauenstimmen auseinander halten zu können. Finn Flynn alias Paul Conrad spielt einen grundsoliden jungen Mann – auch wenn seine Figur momentan noch wenig Ecken und Kanten aufweist. Da muss man den zweiten Teil abwarten. Marc Schülert und Karin Schumann dagegen sind voller Ecken und Kanten und geben so ein absolut fieses Räuberpaar ab. Wunderbar! Sven Matthias ist in gewohnt professioneller Form als moralisch einwandfreier Held unterwegs, was ihm gut zu Gesicht steht. Spektakulär ist Werner Wilkenings Auftritt als Richard Bowland. Großes Kino! Er schwankt zwischen väterlicher Gefasstheit und arrogantem Übermut. Dazu passt sein schleimig-fieser Konterpart Geoffrey alias Ernszt Dubitzky. Eine weitere besondere Begegnung war für mich einmal mehr Robert Frank, der mal wieder den perfekten Ton trifft – diesmal ungewohnter Weise bei einem besoffenen Triebtäter. Ich breche hier ab: Das Hörspiel ist bis in die kleinste Rolle passend besetzt.

Schnitt:
Der geht auf die Kappe von Marc Schülert, den man bereits als Cutter von „Der erste Schnee“ und „Barash Tyr“ kennt. Sein Schnitt ist stets blitzesauber, fantasievoll und temporeich. Besonders bei diesem Hörspiel funktioniert eine solche Kombination einwandfrei. So spendiert er der Mole-Welt Pferdekarren, stimmungsvolle Tages- und Nachtatmosphären, hysterische Menschenmengen, Hühner, Hunde etc.! Der Dialogschnitt ist flott, die Regie scheint zu stimmen, es gibt einfach kaum Kritikpunkte. Lediglich die Geräusche der Moles hätte ich mir anders vorgestellt, denn momentan klingen sie wie wildgewordene Velociraptoren.

Musik:
Die musikalische Untermalung hält sich dezent im Hintergrund und drängt lediglich in dramatischen Szenen in den Vordergrund. Dabei empfand ich die Musik stets als stimmig.

Cover:
Das Cover führt ein wenig in die Irre. Durch die Art der Darstellung erwartet man eigentlich eine trashige Parodie des Stoffes. Da das Hörspiel doch eher ernsthaft angelegt ist, wäre vielleicht eine realistische Zeichnung in dunklen Schwarz-Braun-Tönen eine Option gewesen, ähnlich den Dorian Hunter-Covers. Dennoch handelt es sich um ein schönes Cover, dessen Schriftzug und Hintergrund sehr gut zum Stil des Hörspiels passen.

Fazit:
Großes Hörkino! Aus meiner Sicht eine der besten Produktionen bei hoerspielprojekt.de und bei Weitem besser als die meisten kommerziellen Hochglanzproduktionen. Dort wird gern bei den Nebenrollen gespart, worunter die Qualität leidet. Hier konnte eine Vision aber 100% überzeugend besetzt und umgesetzt werden.

R. M. Beyer

Über Martin Beyer-Festerling

Dipl.-Berufspäd. Martin Beyer-Festerling hat Medizin- und Pflegepädagogik sowie Philosophie an der TU Dresden studiert. Er schreibt Kurzgeschichten, betätigt sich aber zudem als Sprecher und produziert hin und wieder Hörspiele.

Ein Kommentar zu “Rezension: MOLE

  1. Werner Wilkening
    24. Januar 2012

    Genau, das ist es, lieber Martin – nicht aus den Tiefen des Welten-Alls bricht hier das Unheil über die unschuldige Menschheit herein – aus den Tiefen der Erde bricht es herauf in den Alltag ganz alltäglicher Menschen und – es ist unfassbar! – keine Erklärung, kein Supermann, keine Wunderwaffe. Manch Genrefreak verzweifelt, das kann er nicht einordnen, das kann er nicht fassen: der eine ruft nach der Army, der Airforce und schneidigen Commaders, weisen Präsidenten oder dem Terminator; der andere will doch wenigstens wissen, in welchem cd-Regal er „MOLE“ ablegen soll. Ja, und genau darum gefällt mir „MOLE“: denn nicht die Natur der MOLEs steht hier im Vordergrund, sondern das, was sie bewirken: die dünne Kruste der Zivilisation bricht auf – die Natur der Menschen zeigt sich im Angesicht äußerster Bedrohung.

    Aber hier kommt die Bedrohung, ich möchte sagen, aus seinem Inneren auch – wir werden uns selbst zum Monster, zum Verräter, zum Heuchler, zum Dieb – zum Mörder, zur Meute! Aber es gibt Hoffnung – und das sind ausgerechnet zwei junge liebe Mädchen und ein allzu edler Jüngling!

    Und das bewältigen die beiden Sprecherinnen mit so wunderbarer Leichtigkeit und so tiefem Ernst, welchen oft Kinder beim Spielen haben. Dass die Sprecherinnen dabei das Alter von 15 um Einiges überschritten haben dürften, tut der Sache keinen Abbruch; im Gegenteil: sie entwicklen ein so intimes Feingefühl für ihre Figuren und halten doch eine bestimmte professionelle Distanz, die ihnen erlaubt ihr ganzes schauspielerisches Vermögen aus zu spielen – nicht um selbst zu glänzen, sondern um ihren Figuren Glanz zu verleihen. ja, das ist schön! – auch natürlich das, was Du über den Sprecher des Ref. Bowland schreibst: „Großes Kino“ :-))) – ? – das fängt in der kleinen Sprechkabine an – und hallt wie Donner durch die Drähte des www.! – also weiter und Good Luck! lg wer.n

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 24. Januar 2012 von in Aktuelles, HÖRSPIEL_truhe und getaggt mit , , , , .

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