Die Belletristen

Erzählkunst in allen Formen und Farben

Toskana und Umbrien – eine italienische Reise (6. Teil)

Sechster Tag (Samstag): Allora il treno

Eine Zugreise bietet viele Vorteile: Zeit zum Lesen, Schlafen und Bekanntschaften schließen, aber auch eingeschränkte Flexibilität und die (natürlich nur theoretische) Möglichkeit einer Verspätung. Die Fahrt von Assisi über Falconara Marittima nach Rimini schien aufgrund der schlechten Verbindung kein Ende zu nehmen. Foligno, ein Nest, das auch seine Schönheiten haben mag und immerhin eine Universität hat, ein Teil der Universita Perugia, bot Zeit zum Nachdenken. Bei den hohen Temperaturen – heute wieder um die 31°C – erinnerte ich mich an die Geschichte mit der Insel, die die Marchesa Montetristo, einer Eingebung folgend, einige Kilometer südöstlich von Murano hatte aufschütten lassen, um einen Palazzo darauf zu erreichten, der der Erhaltung des Altbewährten und der Erweckung des Vergessenen vorbehalten und nur einem exklusiven Kreis von Sammlern und Kennern zugänglich war. Der Erzähler findet als Verkäufer der Badewanne, in der Marat ermordet wurde, Zugang zu einer der illustren Abendgesellschaften der Marchesa und wird Zeuge, wie sich, während der Aufführung eines Konzertes, die Fundamente der Insel lösen und diese samt Palazzo und den immer noch andächtig lauschenden Gästen, deren Würde ihnen zu fliehen nicht gestattet, im Meer versinkt. „Das Ende einer Welt“, so der Titel dieser absurd-grotesken Erzählung von Wolfgang Hildesheimer, dessen Vorliebe für endzeitliche Szenarien auch hier deutlich zum Tragen kommt, sei an dieser Stelle empfohlen.

 

Kurz nach 17 Uhr Ankunft in Rimini. Es stellte sich als Problem heraus, ohne Reservierung Samstagabend ein bezahlbares Quartier zu finden. In den drei Hostels – keine Chance. Der freundliche Mann in der Touristinformation gab mir kaum mehr Grund zur Hoffnung, aber da – ein Anruf, ein paar Klicks am Computer – fand sich doch etwas: Hotel Alaska für 35 EUR. Das Hotel wird seinem Namen wirklich gerecht: Als ich mein Zimmer betrat, wirkte die Temperatur wie ein Schlag mit der Keule: 17°C durch die Klimaanlage, während die Außentemperatur mittlerweile 32°C betrug! Das Bad roch nach Chlor, sonst war aber alles in Ordnung, einfach, den Bedürfnissen genügend, sogar mit Balkon, zudem eine sehr nette Frau an der Rezeption. Ich eilte noch einmal zurück zum Bahnhof, um mich kurz vor Ladenschluss mit etwas zum Essen und zum Trinken zu versorgen. Dann ging es weiter zum Strand, der, wie nicht anders zu erwarten, durch private Strandbars abgesperrt ist, so dass der direkte Zugang für den Zahlungsunwilligen zunächst versperrt ist. Warum auch für den Zugang zum Meer Eintritt bezahlen, zumal jeder Tourist pro Tag eine extra Gebühr für den Aufenthalt in der Stadt entrichten muss. Ich fand schließlich doch noch einen Weg, wenngleich es dann schon dunkel war und mir die Adria nicht mehr so sonnenbestrahlt entgegenwinkte wie vom Zug aus, der, von Ancona kommend, beständig an der Küste und den Bädern voll sonnenhungriger Menschen – Fano, Pesaro, Gabicce Mare, Cattolica, Riccione, Miramare – vorbeigebraust war.

Noch eine Anekdote: Als Udo Jürgens 1983 seinen Titel „Die Sonne und du“ veröffentlichte, sorgte das für einiges Aufsehen, weil die Reiseziele, die er besang – Las Palmas, Rimini, Ibiza, St. Tropez, Hawai, Martinique, Jamaica, Rio und Malibu – für den Durchschnittsverdiener in der BRD finanziell zumeist nicht erschwinglich waren. Es soll sogar Rundfunkanstalten gegeben haben, die den Schlager deshalb nicht spielten. Jedenfalls: Rimini ist beeindruckend, die Promenade mit Bars, Diskotheken und Restaurants schier endlos. Ich stürzte mich ins Nachtleben.

Hagen Schäfer

Über Hagen Schäfer

Dr. Hagen Schäfer hat an der TU Chemnitz und der Universität Leipzig Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft studiert und promovierte zum Hörspiel in der frühen Bundesrepublik. Er hat einige wissenschaftliche Aufsätze für Zeitschriften und Jahrbücher publiziert. Darüber hinaus ist er journalistisch tätig, schreibt kleinere Prosa und Hörspiele. In unserem Blog wird er auch dann und wann über seine Reisen berichten.

2 Kommentare zu “Toskana und Umbrien – eine italienische Reise (6. Teil)

  1. M
    11. August 2013

    Ja, und wo ist der Bericht über das aufregende Nachtleben? Das interessiert doch am meisten!

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  2. R. M. Beyer
    20. August 2013

    „Die Sonne und du“… unvergessen und auch ein bisschen elitär für die damalige Zeit. War mir noch nie aufgefallen, dass Udo Jürgens da lediglich Orte der High Society aufzählt. Vielleicht folgte deshalb 2001 „Ich war noch niemals in New York“. Quasi als Zugeständnis an den kleinen Mann, der bitteschön weiterhin Udo Jürgens‘ Platten kaufen soll, damit dieser weiterhin NICHT nach New York fliegen kann.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 10. August 2013 von in Aktuelles, REISE_koffer und getaggt mit , , .

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