Liebe Leserin, lieber Leser,
Donnerstag Abend in Berlin. Endlich kommt ein kühler Wind auf und macht die Temperatur in meinem Büro erträglicher. Doch nicht nur das Wetter ist eine Plage, auch die Arbeit martert mich mit purer Langeweile (Oder lieben sie „Copy and Paste“?). In meinem Versuch mein Schicksal etwas angenehmer zu gestalten, komme ich auf die Idee mir ein Hörspiel anzuhören! Und in der Tat stellt sich schnell heraus: Hörpspiele sind der ideale Begleiter für langweilige Arbeiten! Der Kopf wird beschäftigt, während die Hände die Arbeit verrichten. Perfekt! Nach einigen Nieten zieht mich schließlich das Hörspiel „Das Mädchen aus Zellstoff und Tinte“ in seinen Bann.
Die knackige und stringente Geschichte der „Hörspielprojekt“ – Produktion spielt in einer psychiatrischen Einrichtung und dreht sich um einen Besuch der promovierenden Nina Hartweg bei dem ausgebrannten und labilen Schriftsteller Karl de Roodt. Was im ersten Moment vielleicht als literarisches Kabinettstück erscheint, entpuppt sich schnell als gefährliches Spiel um die Frage „Wer ist hier verrückt?“.
Für ein Hörspiel ist die Qualität seiner Sprecher und Sprecherinnen natürlich essentiell. Gerade hier überzeugt „Das Mädchen aus Zellstoff und Tinte“, tragen doch die drei SprecherInnen Anke Bullemer als Nina Hartweg, Felix Würgler als Karl de Roodt und Markus Haacke als Dr. Meerbusch entscheidend dazu bei, dass die Geschichte funktioniert. Besonders gefreut hat mich, dass mit Anke Bullemer eine überzeugende Sprecherin gefunden werden konnte, enttäuschten mich bei den bisherigen Hörspielen doch meist die weiblichen Rollen.
Auch der Sound und die Geräuschkulisse im Hörspiel ist sehr gelungen. Die Handlungsorte sind auch ohne Beschreibung gut vorstellbar und dauerhaft präsent, etwa beim Zimmer Karl de Roodts durch das Ticken der Uhr.
Besonders gefallen hat mir die ironische Kritik an der modernen akademischen Welt, wenn der Arzt Dr. Meerbusch in einem kurzen Gespräch mit Nina Hartweg lästert „Über was man heute alles eine Doktorarbeit schreiben kann“ und dabei der Titel seiner eigenen Arbeit für Laien unverständlich ist. Solche kleinen Rededuelle beleben eine Geschichte ungemein und machen die Figuren greifbar.
Und das ist auch notwendig in „Das Mädchen aus Zellstoff und Tinte“. Die Figuren und Hintergründe werden nur rudimentär beleuchtet, gerade so viel, wie es notwendig ist für eine Kurzgeschichte dieser Art. Zwar ist es legitim in diesem Genre, eine Geschichte mit vielen Fragen enden zu lassen, doch kommt bei diesem Hörspiel das Ende viel zu früh und hinterlässt zumindest bei mir den bitteren Geschmack, dass hier lediglich ein Kapitel aus einer viel größeren und spannenderen Geschichte heraus gerissen wurde. Das liegt definitiv auch an der Wahl des Titels. Zwar ist der Titel sehr griffig und reiht sich angenehm in eine lange Reihe von „Das Mädchen mit…“ Titeln, doch suggeriert er etwas, dass nicht geliefert wird. Und noch viel schlimmer: der Titel ist schlicht falsch. So wird zwar eine Geschichte mit diesem Titel im Hörspiel erwähnt (es ist die letzte veröffentlichte Arbeit des Schriftstellers), die eigentliche Geschichte, um die es sich dreht, ist jedoch eine ganz andere.
Trotz dieses Punktes und der kleinen Enttäuschung am Ende kann ich für „Das Mädchen aus Zellstoff und Tinte“ dank ihrer überzeugenden SprecherInnen eine uneingeschränkte Hörempfehlung geben. Besonders bei langweiligen Büroarbeiten.
Euer Manuel Zirm
Schöne Rezension, Manu! Ich fand dieses Hörspiel auch sehr gelungen. Den Titel aber fand ich letztendlich passend, auch wenn er anfangs etwas irritiert. Ohne jetzt zu viel zu verraten, bezieht er sich nicht nur auf dieses letzte Werk vom Schriftsteller, sondern zudem auf besagte Besucherin. Es gibt da zwei Lesarten der Geschichte (Info aus erster Hand). Aber wie gesagt: da will ich nicht spoilern.
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